Ich mag diesen Passus aus einer Rede von Roger Willemsen am Dresdner Staatsschauspiel sehr. Er redet über Engagement und Kultur. Zwei, die eng miteinander zusammenhängen und zwei, die oftmals in einem zu engen Deutungsrahmen festgehalten werden. Seine Sicht der Dinge erweitert sie. Sie nimmt Engagement aus dem reinen Geld geben und aktiv sein heraus, ergänzt sie um das, was davor nötig ist. Eine Haltung im Leben, ein beteiligt sein, ein Interesse zeigen, ein involviert sein, ein leben, statt gelebt zu werden.
Und es gibt der Kultur den schönsten Platz, den für alle zugänglich, entreißt ihn der Kultiviertheit und des überlegen seins, sondern platziert ihn mittenrein in jeden Menschen. Großherzigkeit nicht nur im Tun, sondern auch im Denken – was für eine schöne Definition von Kultur und Engagement.
Ein schöner Gedanke, ein Sonntagsgedanke. Sonntag, die Tage an denen gemeinhin das kulturelle Engagement seinen Höhepunkt der Woche erreicht im Museumsbesuch. Sonntage, an denen sich wunderbar über das große Ganze nachdenken und endlich engagiert das Kleiderbügelprojekt angehen lässt.
„Das ist die Großherzigkeit von Leserinnen und Lesern, von Menschen, die in Museen gehen, von Menschen, die sich in ein Theater setzen, um eine Opern- oder Theaterinszenierung anzusehen.
Es ist die Bereitschaft, sich für etwas durchlässig zu machen, das aus der Fremde bzw. Ferne kommt, das Ihnen zum Teil vertraut und verständlich, zum Teil unvertraut und unverständlich ist. Sie alle zeigen eine Bereitschaft dafür, sich selbst als jene gemischten Individuen zu zeigen, die unter Umständen hier gefordert, überfordert oder unterfordert werden, die ein ganzes Paket an verschiedenen Emotionen aufbringen müssen. Darin zeigt sich etwas, das am Anfang aller Formen der Generosität, aller Formen des Engagements steht: Es ist nicht wichtig, dass Sie in erster Hinsicht Initiativen materiell unterstützen. Als Erstes ist es wichtig, dass Sie die Bereitschaft mit sich bringen, von der Fremde überhaupt Kenntnis zu nehmen, das heißt wahrzunehmen, was außerhalb von Ihnen selbst ist.
Mit dieser Form der Großherzigkeit – nämlich der Bereitschaft, das Fremde als solches zu erkennen – werden Sie immer auch eine Antwort auf alles geben, was Rassismus oder Nationalismus heißt. Sie werden dann vielleicht das Vertraute im Fremden noch auffälliger finden als das Fremde selbst. Sie werden vielleicht am Ende einer solchen Veranstaltung an bestimmten Stellen, wo vorher Zentimetereinheiten waren, hinterher Millimetereinheiten haben. Sie werden vielleicht, wenn Sie jemals auf einer Straße einen dunklen, offensichtlich muslimisch gekleideten, in Hemdhose daherkommenden, finsteren Afghanen sehen, nicht denken, dass muss notwendigerweise ein Taliban sein, sondern vielleicht werden Sie in ihm einen Vater erkennen oder einen Fußballfan oder einen Steuerflüchtling. Also etwas, das Ihnen vertraut ist, etwas das gewissermaßen in der Fremde so etwas wie eine weiche Stelle öffnet. Durch diese Stelle können Sie hindurchgehen und diese Existenz in ihrem Anderssein als etwas eigenes, zumindest Befreundetes erkennen.
Das ist eine kulturelle Anstrengung, die im Kern deshalb zur Kultur gehört, weil Kultur eben nicht aus den Büchern, Bildern oder Eintrittskarten besteht, die Sie kaufen können. Im Kern besteht Kultur aus etwas Immateriellen, nämlich dem, was die Rezeption, die Lektüre, das Zuschauen, das Zuhören aus uns allen macht. Das heißt, auf welche Weise sie unser Verhältnis untereinander verfeinert. Kultur ist im Kern: glauben, lieben, ahnen, hoffen, bitter werden, enttäuscht sein, trösten, altern – und damit umgehen können. Alle diese Fähigkeiten, die wir Kulturtechniken nennen, sind letztlich Formen, Einsamkeit zu überbrücken.“